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Hochschule vergibt Nichtstun-Stipendium "Schön, dass wir gesprochen haben - bitte nicht veröffentlichen"

1600 Euro für eine nur vermeintlich simple Leistung: Eine Hochschule hat drei Nichtstun-Stipendien ausgeschrieben. Friedrich von Borries erklärt, warum man daran scheitern kann - und dass wir mehr Folgenlosigkeit brauchen.
Ein Interview von Benjamin Maack
Abhängen und dafür Geld bekommen? Ein Stipendium der Hochschule für bildende Künste in Hamburg machts möglich. Aber leicht wird es nicht.

Abhängen und dafür Geld bekommen? Ein Stipendium der Hochschule für bildende Künste in Hamburg machts möglich. Aber leicht wird es nicht.

Foto: Benjamin Egerland / EyeEm / Getty Images/EyeEm

SPIEGEL: Sie planen gerade eine Ausstellung namens "Schule der Folgenlosigkeit" im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg und vergeben in diesem Rahmen ein Stipendium fürs Nichtstun. Halte ich Sie gerade vom Nichtstun ab?

Von Borries: Nein, im Moment leider nicht. Ich schreibe gerade die Texte für die Ausstellung und gebe Interviews wie dieses hier.

SPIEGEL: Ihr Nichtstun-Stipendium ist mit 1600 Euro dotiert. Dafür müssen sich die Anwärter und Anwärterinnen ganz schön ins Zeug legen. Sie sollen eine Bewerbung schreiben und später in einem Bericht Rechenschaft über ihr Nichtstun ablegen. Wiederholt das nicht die klassische kapitalistische Mär von der Arbeit, die zu Erfolg führt?

Von Borries: Die Bewerbung ist mir wichtig, weil die Leute so vielleicht nicht nur sagen: "Künstler, die spinnen ja", sondern: "Das finde ich interessant, was für eine Art von Nichtstun wäre das bei mir?" Und den Bericht möchte ich gern haben, weil Nichtstun sehr schwierig ist. Für manche so schwer, dass sie daran scheitern. Das möchte ich gemeinsam mit den Stipendiaten*innen dokumentieren und im Idealfall am Ende eine Art Résumé ziehen.

SPIEGEL: Es geht also nicht nur um Faulenzen?

Von Borries: Das Nichtstun, nach dem wir in unserem Stipendium suchen, oszilliert zwischen dem provokativen Nichtstun im Sinne von Faulenzen und dem sehr konkreten Nichtstun, also dem bewussten Unterlassen von etwas.

SPIEGEL: Unterlassen…?

Von Borries: Während das "Nichtstun" allgemein negativ konnotiert ist, ist die Unterlassung eine kulturelle Praxis, die wir verlernt haben. Unsere Gesellschaft folgt der Logik des Wachstums und der Beschleunigung. Diese Erfolgsorientierung möchte ich infrage stellen. Denn so lange wir das unhinterfragt weiter mitmachen, werden wir die Herausforderungen eines dringend nötigen ökologischen und gesellschaftlichen Umbaus nicht bewältigen können.

SPIEGEL: Und was sollen die Stipendiatinnen dann nicht tun?

Von Borries: Das kann ganz vieles sein. Ich hatte vorhin ein Gespräch mit einer Radiomoderatorin, die sagte, sie könne ja einfach mal in einer Livesendung fünf Minuten nichts sagen. Da meinte ich gleich: "Super, bewerben Sie sich damit, das ist ein traumhaftes Bild." Oder eine leere Seite im SPIEGEL - auch das wäre ein Nichtstun und eine Möglichkeit, sich gewissen Verwertungslogiken zu entziehen.

SPIEGEL: Müssen die Bewerberinnen und Bewerber denn alle zu Kreativen und Kunstschaffenden werden? Stille im Radio, leere Seiten im Nachrichtenmagazin, das hat ja beides einen stark performativen Charakter.

Von Borries: Nein, die Stipendien sind bewusst für alle ausgeschrieben. Es sind vier sehr einfache Fragen:
Was will ich nicht tun?
Warum will ich das nicht tun?
Warum bin ich dafür besonders geeignet?
Wie lange will ich das nicht tun?

SPIEGEL: Wie lange denn mindestens?

Von Borries: Das kann ein Monat sein oder auch vier Minuten. Und es können ganz unterschiedliche Dinge sein. Auch etwas, das für etliche ganz normal ist, für eine bestimmte Person aber ein großer Schritt. Etwa, wenn jemand sagt: Ich esse jetzt mal für einen Monat kein Fleisch.

SPIEGEL: Sind Sie denn gut im Nichtstun?

Von Borries: Ich bin sicher kein Vorbild. Ich bin total geprägt vom Machen und Tun, von dem protestantischen Dogma, dass Arbeit an sich schon ein Wert ist. Während der Corona-Einschränkungen hatte ich depressive Verstimmungen. Daher weiß ich, wie schwierig Nichtstun ist. Auch weil es etwas ist, das andere nicht mitbekommen. Weil man's ja nicht getan hat. Deshalb finde ich auch die "Schule der Folgenlosigkeit" so spannend.

SPIEGEL: Sie sind Architekt - nicht gerade ein Berufszweig, der für sein folgenloses Handeln berühmt ist.

Von Borries: Ja, die Architektur ist noch immer vom Phantasma des Machens geprägt. Ich habe neulich einen Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen gehalten und den versammelten Architekt*Innen vorgeschlagen, dass sie die Projekte auf ihrer Website zeigen, bei denen sie froh sind, sie nicht verwirklicht zu haben. Die sind schließlich noch nachhaltiger als die neu gebauten. Kam nicht so gut an.

SPIEGEL: Ihre Ausschreibung schon. Ein ganz schöner Erfolg, könnte man sagen.

Von Borries: Ja, das Projekt ist "erfolgreich" und hoffentlich nicht folgenlos. Das ist ein Widerspruch, den ich aushalten muss. Ich merke auch jetzt bei der Ausschreibung, wie gut es mir gefällt, dass so viele Leute darauf anspringen.

SPIEGEL: Es wäre Ihnen also nicht lieber, wenn wir grade nicht sprechen würden?

Von Borries: Wenn ich jetzt sagen würde: "Schön, dass wir miteinander gesprochen haben - bitte nicht veröffentlichen", dann wäre das konzeptionell total stringent, würde der Sache aber nicht weiterhelfen. Wir wären in einer Widerspruchsblase gefangen.

SPIEGEL: Was wären für Sie die besten Folgen dieses Projekts?

Von Borries: Jetzt wird es erst mal eine Ausstellung. Das ist prima, aber es ist halt "nur" eine Ausstellung. Es wäre super, wenn es aus diesem Raum "Kunstprojekt", "verrückter Hochschulprofessor" herauskäme. Wenn ein Kultusminister oder eine Kultusministerin sagen würde: Das ist wirklich wichtig für den Alltag, Folgenlosigkeit wäre doch ein tolles Schulfach.